Muse Michelle

NARBENLICHT – MEIN WEG ZU MIR
Ich habe lange gebraucht, um Frieden mit meinem Körper zu schließen. In meiner Pubertät begann dieses ständige Vergleichen – überall sah ich perfekte Körper, volle Brüste, makellose Haut. Und ich stand dazwischen und fragte mich, warum ich nicht so aussah. Meine Brüste waren klein, und obwohl das eigentlich nichts bedeutete, fühlte es sich an, als wäre genau das ein Makel, den ich verstecken musste. Ich wollte dazugehören. Ich wollte mich schön fühlen. Ich wollte mich endlich mögen. Als ich schwanger wurde, veränderte sich mein Körper auf eine Weise, die ich kaum glauben konnte. Meine Brüste wuchsen bis auf ein F-Körbchen, und plötzlich war da etwas, das ich mir früher so sehr gewünscht hatte. Doch nach der Stillzeit blieb nur Haut – leer, weich, erschöpft. Ich fühlte mich fremd in meinem eigenen Körper. Also entschied ich mich für eine Brustvergrößerung. Ich dachte, das würde mir mein Selbstbewusstsein zurückgeben, vielleicht sogar ein Stück Leichtigkeit. Ich wollte mich endlich wieder wohlfühlen. Doch es kam anders. Die Implantate drückten auf meine Lunge, ich bekam schlechter Luft, sie drehten sich, verschoben sich – und mein Körper begann, sie abzuweisen. Es war, als würde er sich wehren, als wollte er mich zwingen, endlich hinzusehen. Gleichzeitig merkte ich, wie sehr die Meinung anderer auf mir lastete. Wie stark mich Worte und Blicke trafen. Wie tief sich diese ständige Sexualisierung in mich hineingefressen hatte. Ich begriff, dass ich jahrelang versucht hatte, einem Ideal zu entsprechen, das gar nicht meines war. Schließlich ließ ich die Implantate entfernen. Es war kein leichter Schritt. Das Herausnehmen war körperlich und seelisch viel schwerer als das Einsetzen. In meiner Brust bildete sich eine Blase, die immer wieder einblutete, und ich musste erneut operiert werden. Danach platzten beide Narben auf. Ich war müde, verletzt, erschöpft – aber auch ehrlich. Zum ersten Mal sah ich mich so, wie ich wirklich war. Ohne Erwartungen. Ohne Filter. Nur ich. Heute lebe ich mit diesen Narben. Sie sind Teil von mir, und manchmal tun sie noch weh. Aber sie erinnern mich daran, wie viel ich durchgestanden habe. Sie erzählen von meinem Weg – von Schmerz, von Mut, von Loslassen und von Neubeginn. Ich habe gelernt, dass Schönheit nichts mit Perfektion zu tun hat. Dass wahre Stärke entsteht, wenn man sich nicht mehr versteckt. Und dass Frieden mit dem eigenen Körper nicht dann kommt, wenn er „richtig“ aussieht – sondern wenn man endlich aufhört, gegen ihn zu kämpfen. Meine Narben sind kein Makel. Sie sind mein Beweis dafür, dass ich geheilt bin – auf meine ganz eigene Weise.

An all die Frauen, die sich manchmal nicht schön genug fühlen: Du bist nicht allein. Wir alle tragen Narben – manche sichtbar, andere tief im Inneren. Hör auf, dich zu vergleichen. Du musst in keine Form passen, um genug zu sein. Dein Körper ist kein Projekt, das man verbessern muss. Er ist dein Zuhause, dein Zeugnis, dein Wegbegleiter. Schönheit beginnt dort, wo du aufhörst, dich zu verstecken. In deiner Echtheit liegt mehr Kraft, als jedes Ideal dir je geben könnte.

Narbenlicht erzählt von Michelle Riedl